Text von Andrea Rings, Projektleiterin
Comic: Stephanie Assmann
Grafiken: Thaisen Stärke
Die Idee wird geboren
Alles begann mit einer Bilderschreibwerkstatt im Herbst 2018 in Erkelenz. Ich hatte mir im Monat zuvor ein iPad gekauft und bot an, die Fotos mit einer App comicartig zu verfremden. Eine Zehnjährige hatte die Idee, mit ihren Stofftieren das Kinderbuch „An der Arche um acht“ von Ulrich Hub nachzuerzählen. Ich war sofort schockverliebt. Diese Bilder, diese Möglichkeiten zu erzählen!
Die Sache hatte allerdings einen Haken: Es war enorm viel Arbeit für uns Workshopleiter, die Bilder auf dem Rechner nachzubearbeiten. Die Teilnehmenden waren auch viel zu abhängig von unserer Hilfe, das musste doch auch anders gehen! Was, wenn man einen Workshop konzipieren würde, bei dem die Teilnehmenden mit Hilfe von iPads, iPad-Stiften und Apps ganz eigenständig Comics erstellen würden?
Ein Konzept kommt an
Ich war wie im Fieber und probierte jede Menge Apps aus. Schließlich hatte ich einen Plan, wie und in welcher Reihenfolge man die Apps anwenden müsste, um eine Comicgeschichte zu erzählen. Im Dezember folgte der ultimative Test: Mein achtjähriger Neffe erstellte innerhalb einer Stunde mit seinen Schleichdrachen einen Drachenkampf-Comic, Tschacka!
Ich schrieb das Konzept für den Workshop und schickte es im Frühling 2019 ans Kulturbüro Mönchengladbach. Auf dem Titelbild sagte ein Bär: „Da kommt was Großes auf uns zu.“ Es kam mir selbst ein kleines bisschen anmaßend vor, da ahnte ich noch nicht, dass wirklich etwas Großes auf mich zukommen würde. Denn im Sommer kam plötzlich die Anfrage: „Würdest du im Sommer 2020 sechs Workshops hintereinander machen? Da kommt richtig Arbeit auf dich zu!“ Was für eine Frage! Die LAG Kunst und Medien NRW wollte mein Projekt, Juchhee!
Plötzlich ganz groß
Nachdem Fleur Vogel von der LAG und ich uns kennengelernt hatten, war klar, dass meine iPad-Comicgeschichten das Jahresprojekt der LAG Kunst und Medien für 2020 werden sollten. Fleur Vogel begann sofort damit, die Bildungspartner für das Projekt zu suchen und ein Konzept und einen Antrag auf finanzielle Mittel beim LWL (Landesjugendamt Westfalen Lippe) zu schreiben. Geplant war ein Netzwerkprojekt, bei dem die Stadt Mönchengladbach als einzige Großstadt teilnehmen und die übrigen fünf teilnehmenden Einrichtungen oder Kommunen eher ländlich im Umkreis von Mönchengladbach gelegen sein sollten. Thematisch sollte es darum gehen, dass die Kinder und Jugendlichen sich mit ihrer ländlichen Umgebung auseinandersetzen. Daraus entstand dann auch der Name für das Projekt: Country Comics.
Im November 2019 standen unsere Bildungspartner fest, wir machten Termine, vernetzten uns und freuten uns auf die Workshops, die wir im Sommer 2020 machen würden. Jede Einrichtung hatte Besonderheiten und wollte unterschiedliche Altersgruppen ansprechen, alles schien möglich.
Bangen und warten
Und dann kam Corona. Wochen, in denen wir bangten und über Online-Alternativen nachdachten. Im März/April waren alle Jugendeinrichtungen geschlossen und wir hatten immer noch keine Zusage für die Finanzierung. Schließlich wurden die Jugendeinrichtungen wieder geöffnet, es wurden Hygienepläne entwickelt und wir änderten das Konzept von Gruppenarbeit zu Einzelplätzen. Wir wollten mit acht iPads acht Plätze anbieten, bei der Teilnahme von Geschwisterkindern sogar mehr. Alles war vorbereitet, aber der Bescheid vom LWL ließ immer noch auf sich warten. Endlich, am 14. Mai kam die Zusage! Das Projekt sollte am 2. Juni im STEP in Mönchengladbach beginnen. Puh, alles ganz schön eng, um Teilnehmer zu finden, die acht iPads und das Zubehör zu beschaffen und alles einzurichten.
Stephanies-Comic
Und so startete das Projekt in Mönchengladbach im STEP ein wenig holprig. Die iPads waren nicht kompatibel mit dem Beamer, Schutzhüllen und iPad-Stifte trudelten erst im Lauf der Woche ein und einige Kinder stießen erst später hinzu, weil sie spontan im dem laufenden Betrieb des STEP angesprochen wurden. Aber von Anfang an funktionierte der Plan: Die Teilnehmenden begriffen schnell, wie man mit den Apps Comicgeschichten erzählen kann und waren mit Begeisterung dabei. Die Arbeit mit dem iPad löste kreative Energien aus, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte!
Und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen, die fünf Kinder und zwei jungen Erwachsenen produzierten insgesamt zehn fertige Werke, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Als ich hinterher die iPads auswertete, fand ich darauf viele kleine Nebenprojekte, mit denen meine Teilnehmenden sich ausprobiert hatten und spielerisch kreativ waren. Da ahnte ich schon, dass sie für den Kreativitätsprozess besonders wichtig waren.
Weiter ging es in Viersen, wo die besondere Herausforderung in den kleinen Räumen des Hubert-Vootz-Hauses lag. Die Abstände zwischen den Teilnehmenden konnten nur eingehalten werden, indem wir die Gruppe teilten. Während die Teilnehmerinnen im Dachgeschoss von Teamer John betreut wurden, saß ich im Erdgeschoss und hatte mir die Jüngsten in die Gruppe geholt. Zwei achtjährige Jungen, von denen ich erwartete, dass sie viel Bewegung zum Ausgleich brauchen würden. Die Rechnung ging auf, die Kinder nutzten ausgiebig das schöne Außengelände zum Fußballspielen und Toben.
Ich lernte, dass man sie nie zurück zu ihren Projekten rufen muss, die Begeisterung für die Arbeit mit den iPads ist so groß, dass sie von selbst wiederkommen. Die „Großen“ waren ohnehin immer bei der Arbeit und machten kaum Pausen. Zwei Mädchen entschieden sich fürs Filmen und drehten insgesamt sechs Comicfilme. Bei der Abschlussveranstaltung mussten alle eine ganze Stunde lang Maske tragen, ich habe sogar mit Maske moderiert. Eine echte Herausforderung, aber kein Problem für die Viersener!
Die Sommerferien in NRW begannen und die Country Comics waren in Niederkrüchten im doc5 zu Gast. Hier waren viele Jungen und Mädchen dabei, die zuhause viel zeichnen und gerne das digitale Zeichnen ausprobieren wollten. Einige waren mit so viel Ausdauer dabei, dass ich am Ende eines Workshoptages iPads mit leeren Batterien zurückbekam. Aber es gab auch Teilnehmer, die alle Möglichkeiten der Bildbearbeitung ausschöpften und dazu ganz neue Kombinationen für die Apps erfanden. Der Spaß kam nicht zu kurz, der Billardtisch wurde täglich genutzt und nach der langen Lockdown-Zeit genossen alle dieses Stückchen Normalität.
Ich lernte, dass Comics mit eigenen Zeichnungen viel aufwändiger sind und die Zeit besser strukturiert werden muss, wenn man solche Projekte zu Ende führen will. In Niederkrüchten entstand auch die Idee, selbstgestaltete Bilder mit dem eigenen Namen in die Abschlusspräsentation einzubauen, eine „Kunstform“, die in den folgenden Workshops weiter verfeinert wurde.
Die dritte Ferienwoche in NRW begann und mittlerweile waren die Corona-Regelungen deutlich gelockert. Die Teilnehmenden im EFFA in Waldniel durften sich innerhalb der Gruppe ohne Maske frei bewegen. Sie setzten sich häufig zusammen, es gab gemeinsame Mahlzeiten, einen Spielplatzbesuch und einige zogen mit der Teamerin durch Waldniel und machten Fotos für die ganze Gruppe. Die Airdrop-Funktion, mit der die Bilder gezielt an andere iPads in der Nähe geschickt werden können, wurde ausgiebig genutzt, auch um lustige Bilder herumzuschicken.
Aus der Erfahrung in Niederkrüchten heraus habe ich besser strukturiert und so war noch Zeit für eine entspannte Abschlussrunde am letzten Tag, bevor die Eltern kamen. Passend zu der heiteren Atmosphäre wurde bei der Abschlussveranstaltung in Waldniel viel und herzlich gelacht.
Die Country Comics kamen zu dem Ort, an dem die Idee entstanden war: der Leonhardkapelle in Erkelenz. Hier hatte 2018 die eingangs erwähnte Bilderschreibwerkstatt stattgefunden. Ich war richtig gerührt, als ich feststellte, dass einige der Teilnehmerinnen von damals auch jetzt angemeldet waren. Bewusst hatte die Stadt Erkelenz sich dafür entschieden, das Alter der Teilnehmenden auf 12-16 Jahre festzusetzen, um auch Jugendlichen ein Angebot für die Sommerferien machen zu können. Normalerweise ein Risiko, denn es ist gar nicht so einfach, diese Altersgruppe mit einem passenden Angebot anzusprechen. Aber es gelang, der Kurs war voll und die acht Teilnehmerinnen waren hochmotiviert.
Wieder wurde viel gezeichnet, es gab gemeinsame Mahlzeiten im Hof mit Lunchpaketen und Teamer Alex sorgte für musikalische Untermalung. In der Abschlussrunde brachten mehrere Teilnehmerinnen zum Ausdruck, wie wertvoll die kleinen Nebenprojekte für sie gewesen seien. Ich hatte das ja schon vermutet und war dankbar für diese Bestätigung. Bei der Abschlusspräsentation gab es ein Novum: Katharina Lüke, Jugendpflegerin der Stadt Erkelenz hatte Urkunden für alle angefertigt. Darauf hätte ich ja auch mal kommen können.
Da im second home die Abstände nicht eingehalten konnten, waren die Country Comics in Brüggen im Ratssaal der Stadt zu Gast. Ein bisschen eingeschüchtert war ich schon, als ich das erste Mal den Raum mit seiner gehobenen Atmosphäre betrat, aber meine Teilnehmenden machten sich gar nichts daraus. Sie genossen die Wertschätzung und die Nähe zur Innenstadt, wo sie sich mittags einen kleinen Imbiss holten. Und immer noch wurden neue Techniken mit den iPads entwickelt. Gemeinsam lernten wir, wie man selber Sticker anfertigen und in der Comic-App einfügen kann.
Zwischendurch wurde mir eine aufblasbare Weltkugel geschenkt, die ein einsames Dasein in den Fluren der Verwaltung fristete. Sofort wurde das Thema aufgegriffen und in einige Comics eingebaut. Ich war fasziniert, wie leicht sich die Kinder und Jugendlichen von diesem Impuls inspirieren lassen. Bei der Abschlussveranstaltung war ich ein bisschen traurig, weil nun die Comic-Workshops vorbei waren. Aber es sollten ja noch zwei Termine folgen.
Töne in Mönchengladbach
Bei den beiden Vertonungsworkshops übernahm René Wagner, Hörbuchsprecher und -produzent, die Leitung. Zum ersten Mal trafen Teilnehmende der Country Comics aus den verschiedenen Orten aufeinander, lernten sich kennen und mussten sich gleich gegenseitig unterstützen, denn zur Vertonung der Comics waren verschiedene Stimmen gefragt. Wir alle stellten fest, dass es einen Riesenspaß macht, einen Comic einzusprechen. René Wagner hatte zu jedem Projekt passende Geräusche und Musik besorgt, und so wurde jeder vertonte Comic zu einem kleinen Film mit einem ganz eigenen Stil.
Keine große Abschlussveranstaltung …
… aber ein dicker Comicband und eine Homepage. Eigentlich sollten alle Beteiligten des Projekts Ende September noch einmal in Mönchengladbach zu einer gemeinsamen Abschlussveranstaltung zusammenkommen. Von dieser Planung wurde aber schon früh Abstand genommen, um keine unnötigen Risiken einzugehen und weil nicht klar war, ob man einen solchen Event überhaupt zum geplanten Zeitpunkt durchführen dürfe. Stattdessen sollen die dafür eingeplanten Gelder nun für eine Projekt-Homepage verwendet werden.
Und auch der Comicband durfte dicker werden, als ursprünglich geplant. Wer hätte auch zu Beginn geahnt, dass insgesamt 54 Comics, sechs Comicfilme, ein Kinderbuch und ein Zeichenprojekt entstehen würden! Einige der Teilnehmenden hatten zwar mehrere Comics angefertigt, aber für den Comicband musste eine Auswahl getroffen werden. Jeder konnte mit nur einem Werk vertreten sein. Ich bin glücklich, dass mit der geplanten Homepage nun alle Werke gezeigt werden können, auch die Filme und die vertonten Comics.
Es geht weiter
Wenn ein schönes Projekt erfolgreich durchgeführt wurde, mag man sich gar nicht davon verabschieden. Muss ich aber auch nicht, denn ich habe die iPads behalten und werde sie weiterhin in Workshops einsetzen. Die Comics, die dabei entstehen, dürfen auf der Projekt-Homepage der Country Comics eine Heimat finden, und nicht nur sie: Alle Kinder und Jugendlichen, die gerne selber Comics machen, ob digital oder mit Papier und Zeichenstift, dürfen ihre Werke einreichen und darauf hoffen, dass sie auf der Homepage der Country Comics gezeigt werden.
Vielleicht wird diese Seite einmal ein deutschlandweites Forum für Comickultur von Kindern und Jugendlichen. Wer hätte das vermutet, als ich im Herbst 2018 darüber nachdachte, wie Kinder und Jugendliche ganz eigenständig Bildergeschichten mit dem iPad erstellen können.
Zum Schluss noch ein paar Impressionen vom Projekt